Traum und Wirklichkeit in der Piratenpartei

11.07.2014 13:14

Als ich auf die Idee gebracht wurde, meinen Text zum jetzigen Zeitpunkt eventuell noch einmal aktualisiert auf einer zugänglicheren Plattform als meinem Blog zu veröffentlichen, war mir damit leider zuerst ein wenig unwohl.

 

Es ist mir ein Bedürfnis im Vorneherein klarzustellen, dass die Tiefe der Gräben, die sich zur Zeit bei uns auftun, für mich nicht nur mit der darin beschriebenen unterschiedlichen Schwerpunktsetzung bei der politischen Arbeit zu tun hat, sondern mit persönlichen Auseinandersetzungen und Anfeindungen auf einer sehr inhaltsentleerten Ebene.

 

Ich selbst verstehe mich, aus diesem Notzustand heraus, als Geflüchtete auf der Progressiven Plattform. Zwar bin ich weiterhin auch Mitglied der Piratenpartei, habe aber das starke Bedürfnis mich von bestimmten Formen der Menschenfeindlichkeit und der konservativen Bremse innovativer Ideen zu distanzieren.

Der folgende Text entstand für einen Bpt vor zwei Jahren, ich war noch Neupiratin,

lag als Teil der Urbanautenzeitung auf den Tischen aus und ist als Einstieg in meine Perspektive auf die Partei zu betrachten. Ich werde im Anschluß noch einmal darauf eingehen, wie meine heutige Sicht darauf ausfällt.

 

 

Praktischer Idealismus und visionäre Aktion

- zum Konflikt von Traum und Wirklichkeit in der Politik
15.10.2012

In unserer [pluralistischen Kleinpartei] zeigt sich oft deutlich die gedankliche Barriere zwischen täglichem Pragmatismus, etwa in der alltäglichen parlamentarischen Arbeit, und dem grenzüberschreitenden verträumten Idealismus, der zum Handeln bewegt und uns die Hoffnung gibt, überhaupt etwas verändern zu können.

Die Konflikte zwischen denjenigen, die ihre tägliche Arbeit unter anderem in den Parlamenten verrichten, und jenen, die mit mehr Abstand zum Gegenwärtigen versuchen, ihr Leben schon weitergehend nach ihrer eigenen Vision zu gestalten, drehen sich meist um nicht mehr als schlichte finanzielle Sachzwänge und andere strukturell bedingte Hürden.

 

Schimpft mal wieder jemand „utopisch“, während ein anderer auf der langfristigen Realisierbarkeit eines menschlichen Traums wie Gerechtigkeit oder Freiheit beharrt, so fällt auf, dass doch beide Perspektiven durchaus ihre natürliche Berechtigung haben und auch irgendwie untrennbar zusammen gehören müssen.

Letztendlich kann ja auch jeder Mensch prinzipiell beide Ansätze anhand seiner persönlichen Erfahrungswelt nachvollziehen. Auch hier ergänzen sich Vorstellungskraft und gedankliche Abwägung von Handlungsspielräumen im Prozess der Kreativität im wörtlichen Sinne.

 

Das Ideal alleine scheitert zwar des öfteren an der zeitnahen Realität, ist jedoch ein notwendiger Kompass bei der Planung jeder sinnvollen Handlung.

 

Der Pragmatismus neigt alleine oft zu Richtungslosigkeit und Anpassung an gegebene Verhältnisse, ist aber grundlegende Voraussetzung, um jeden Weg und jede Handlung beginnen zu können.

 

Auch wenn es durchaus in manchen Ohren einfach klingen kann, so sind doch viele sozial, demokratisch bzw. hierarchiearm strukturierte Bewegungen weitgehend an diesen bereits intensiv analysierten Interessenkonflikten gescheitert, weil sie aus verschiedensten Gründen heraus nicht genügend in der Lage waren, diese in der Metaperspektive aufzulösen. Beginnend mit Rousseau und Robespierre, über Marx und Lenin, die APO und den Marsch durch die Institutionen bis zu uns, zieht sich dieser tief emotionale Graben durch die sozialen und demokratischen Bewegungen der letzten Jahrhunderte.

 

Unser bisher in der Parteienlandschaft einzigartiger pluralistischer und dezentraler Grundansatz verschafft uns hier jedoch gegenüber den diskussionswürdigen älteren Modellen enorme Vorteile. Alleine schon die gegenwärtigen Versuche, möglichst viele Menschen miteinzubeziehen, können für uns auf Dauer das bedeutende Werkzeug bilden eins zu bleiben, auch wenn wir berechtigterweise unterschiedlich sind und vor den verschiedensten Hintergründen agieren.

Mögliche Lösungsansätze sind natürlich, wie ja schon erkannt wurde, jede Menge allgemeiner Flausch und damit verbunden, der nicht endende Versuch (nicht Zwang), die Beweggründe anderer zu verstehen und gemeinsam in konstruktiver Diskussion konsensual oder demokratisch Stufen zu entwickeln, die den Weg in eine gesündere, offenere und gerechtere Welt glaubhaft begehbarer machen können.

 

 

 

Ich wünsche uns aus diesem Grund ein Wahlprogramm, in dem ehrlich und konsequent zwischen dem getrennt wird, was wir sofort und mit Hilfe anderer Parteien und Organisationen in die Wege leiten können und wollen und jenen Gedankenexperimenten und längerfristigen Projekten und Zielen, an denen kreative Köpfe dieser Partei mit Enthusiasmus und idealistischer Energieschöpfung arbeiten.

Es geht für mich zum einen darum zuzugeben, dass unser Handlungsspielraum in einer globalisierten Wirtschaftswelt, selbst bei einer Regierungsbeteiligung, ohnehin gewissen Grenzen unterläge und zum anderen darum, uns allen zuzugestehen, dass wir uns in einem aller Wahrscheinlichkeit nach gerade erst beginnenden Prozess befinden, der selbstverständlich weiterhin der Beteiligung zahlreicher visionärer und kreativer Köpfe und Hände bedarf, um ohne überflüssige Denkschranken zur realen Weiterentwicklung unserer Gesellschaft beitragen zu können.

 

Wenn wir es schaffen uns untereinander sowie der Öffentlichkeit gegenüber so konsequent wie möglich mit selbstkritischer Ehrlichkeit und Humor zu begegnen, so denke ich, dass wir es auch schaffen können, den Mut und die Kraft zu echter Veränderung aufzubringen, ohne an den unleugbaren Grenzen der Gegenwart unsere Ideale einzubüßen. Kooperation und Vernetzung sind hierbei sowohl erster als auch vielleicht letzter Schritt...

 

 

Vielleicht haben ein paar von euch damals den Text schon gelesen...
mein Bedürfnis war es, angesichts der schon existenten Feindseeligkeiten die Empathie für andere Perspektiven zu erwecken. Wie ich aber in den vergangenen Jahren feststellen musste, ist dieser Ansatz Einigen in der Partei fremder, als ich zu diesem Zeitpunkt angenommen habe.
 
Große Teile der Partei beteiligten sich an Hetzjagden und Rufmordkampagnen mit lächerlichen Anläßen, glaubten an abstruse Texte, die nichts anderes zum Ziel zu haben schienen, als meinen, an wundervollen Individuen(!) reichen, hart arbeitenden Landesverband (Berlin) als gesichtslose Masse auch noch gewaltbereiter (lol) Verschwörer und Mitläufer zu inszenieren.
 
Besonders ist mir dabei die Akzeptanz gegenüber der Extremismustheorie übel aufgestoßen.
 
Der alleinige Versuch, die Verteidigung von Freiräumen und Menschenrechten mit der menschenverachtenden Rassenideologie des Rechtsradikalismus gleichzusetzen,
ist für mich im Ursprung ein durchschaubarer Kunstgriff um, in wessen Interesse auch immer, die Akzeptanz von rassistischen und nationalistischen Ansätzen innerhalb der Bevölkerung sowie die Abwehrhaltung gegenüber (r)evolutionären Ansätzen spürbar zu erhöhen.
 
Da ich die Diskussion um solchen (in meinen Augen) geistigen Sondermüll auch getrost in der CDU führen könnte, ist es mir wichtig, mit anderen innerhalb der Piratenpartei einen geschützten Raum zu erschaffen, in dem es möglich ist, progressive Ansätze und Ideen weiterzuentwickeln, ohne bestimmte Grundsatzdebatten in Endlosschleife führen zu müssen.
 
Ich möchte weiterhin auch Input für die programmatische Arbeit der Piratenpartei geben, habe allerdings auch das dringende Bedürfnis mich mit denjenigen zu vernetzen und um schöne Texte zu kümmern, die wie ich den Standpunkt vertreten, dass die Aufgabe einer Piratenpartei keine bewahrende, zukunftsängstliche oder gar rückwärts gewandte Politik sein kann.
 
Der obige Text richtet sich also auch und besonders an die inhaltliche Diskussion innerhalb der Plattform, innerhalb derer ich mir ein größeres Verständnis der benannten Metaperspektive gegenüber erhoffe, als es zur Zeit traurigerweise in der Gesamtpartei zu erkennen ist.
 
Ich fühle mich stark mit all jenen freien Geistern verbunden, die die Partei besonders in den letzten Wochen verlassen haben, weil sie es leid sind, Debatten unter bestimmten Umständen führen zu müssen.
Ich wünsche mir sehr, dass wir irgendwann wieder eine Partei sein können, in der sich Träumer und Visionäre wohlfühlen...
 
Ahoi!
 
Annika Nadja